Georgien

Am 16. Mai 2018 kamen wir abends in Georgien an. Das Besondere daran: Wir kamen nicht etwa mit dem Flugzeug aus Hamburg, sondern mit dem Bus aus Armenien. Unser Bildungsurlaub in Georgien war nämlich eine Doppelreise, in der wir sowohl Georgien als auch das Nachbarland Armenien besucht haben. Am 11. Mai ging es los nach Armenien, unseren Reisebericht dazu findest du hier. Nach vier Tagen Aufenthalt in Armenien und einem Tag, an dem wir viele Stunden im Bus verbracht haben, reisten wir vom 16. bis zum 21. Mai 2018 durch Georgien.

In Georgien haben wir Denkmäler und Gedenkstätten besucht, uns Burgen und Festungen angeschaut, verschiedene Kirchen und Kathedralen besichtigt, Museen und Ausstellungen besucht, bei einer einheimischen Familie Mittag gegessen, soziale Projekte besichtigt, der Deutschen Botschaft einen Besuch abgestattet, mit einem Bischof gesprochen, Kunsthandwerker*innen kennengelernt und natürlich die verschiedensten Städte, Gebirge und Seen erkundet!

Inhaltsverzeichnis

Politik

Georgien ist eine demokratische Republik, die seit 1991 unabhängig ist, und ein starkes Präsidialsystem sowie eine zentralisierte Verwaltung besitzt. Georgiens Präsident*in hat eine besonders starke Stellung gegenüber Regierung und Parlament und wird alle fünf Jahre in Direktwahlen gewählt. Dabei dürfen sich Präsident*innen nur einmal erneut zur Wahl aufstellen. Seit November 2018 ist Salome Surabischwili die Präsidentin Georgiens und damit als erste Frau Staatsoberhaupt des Landes. 2013 gab es in Georgien eine neue Verfassung, die die Rechte der Regierung und des Parlaments gegenüber des Präsidenten stärken soll. So wird beispielsweise der Regierungschef von der stärksten Partei im Parlament gestellt und nicht mehr von dem Präsidenten oder der Präsidentin. Das Georgische Parlament wird alle vier Jahre neu gewählt und besteht aktuell aus 150 Mitgliedern.

Georgien wurde durch den Europarat und das US-Außenministerium schon mehrmals dazu aufgefordert, Menschenrechte und Demokratie stärker zu verwurzeln, da diese in Georgien immer wieder eingeschränkt werden. Auch gab es in Georgien 2008 den sogenannten Kaukasuskrieg. Anfang März 2022 hat Georgien, nach der Ukraine, ein Beitrittsgesuch für die Europäische Union eingereicht und damit die Mitgliedschaft beantragt.

Geschichte

09. Mai

In vielen europäischen Ländern ist der 08. Mai ein Gedenktag. Denn an diesem Datum jährt sich ein wichtiges, historisches Ereignis: 1945 hat die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapituliert und damit den Zweiten Weltkrieg beendet. Der 08. Mai gilt daher vielerorts als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. In Deutschland ist der 08. Mai zwar ein Gedenktag, jedoch kein gesetzlicher Feiertag.

In der Sowjetunion war der Befreiungstag ein gesetzlicher Feiertag – allerdings nicht der 08. Mai, sondern der 09. Mai. Dies lag daran, dass die Kapitulation gegenüber der Roten Armee und der Waffenstillstand erst nach Mitternacht geschah, also offiziell am 09.05.1945. Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb der 09. Mai in manchen Ländern ein gesetzlicher Feiertag, so auch in Georgien.

Kriegerische Auseinandersetzungen

Nachdem im Februar 2022 der Krieg in der Ukraine ausbrach, hieß es oft, dass dies der erste Krieg in Europa seit 1945 sei. Dabei gab es in den letzten Jahrzehnten an den verschiedensten Orten in Europa kriegerische Auseinandersetzungen, so auch in Georgien 2008.

Mehrere Jahre gab es bereits einen Konflikt im Südkaukasus, der sich zwischen Georgien auf der einen und Russland sowie den Republiken Südossetien und Abchasien auf der anderen Seite austrug. Südossetien und Abchasien sind zwei Regionen, die völkerrechtlich zwar zu Georgien gehören, sich jedoch Anfang der 90er Jahre als unabhängig erklärt haben.

Weder von Georgien noch international werden die Republiken anerkannt. Russland jedoch erkennt ihre Unabhängigkeit an, unterstützt die beiden Republiken und möchte sie sogar in die Eurasische Union mitaufnehmen. Dies wäre allerdings nur möglich, wenn alle Mitgliedsstaaten die Unabhängigkeit des Landes anerkennen würden.

Am 08. August 2008 eskalierte der Konflikt und entwickelte sich zu einem Krieg: Dieser dauerte fünf Tage an und tötete etwa 850 Menschen, während mindestens 2500 weitere verletzt wurden. Eine Untersuchungskommission der EU hat im Nachhinein festgestellt, dass der damalige Präsident Georgiens Michail Saakaschwili den Krieg ausgelöst hat, da er am 07.08. den Angriffsbefehl gab.

Der Krieg hatte schwerwiegende Folgen für alle Länder. Georgien selbst haben diese kriegerischen Auseinandersetzungen sowohl wirtschaftlich als auch politisch um Jahre zurückgeworfen. Auch auf die Beziehung zwischen der EU und den USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite hatte der Krieg massive Auswirkungen.

Bevölkerung

In vielen Familien in Georgien herrscht noch eine traditionelle Rollenverteilung. Die Frau kümmert sich hier oft um Haushalt und Kinder, während der Mann arbeitet. Durchschnittlich bekommen Familien zwischen 1,6 und 1,8 Kinder. Dass die Bevölkerungszahl in Georgien sinkt, liegt somit nicht daran, dass weniger Kinder geboren werden, sondern daran, dass viele Menschen aus zumeist wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen.

In Georgien lebt ein großer Teil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Besonders in ländlichen Gebieten hat das negative Auswirkungen auf die Kinder: Vielen wird der Zugang zu Bildung und zur notwendigen Gesundheitsversorgung erschwert. Manche Schulen, auch vorrangig in ländlichen Gebieten, sind renovierungsbedürftig und können keine geeigneten Lernbedingungen für Schüler*innen bieten. In den letzten Jahren wurden jedoch in Georgien bereits viele Schulen renoviert und Schulbücher kostenlos zur Verfügung gestellt.

Fun Fact: Georgien gilt als das Ursprungland des Weines! Der Weinbau ist hier seit 5800 Jahren vor Christus nachweisbar. Der traditionelle georgische Weinausbau gilt sogar offiziell als immaterielles Kulturerbe der Menschheit.

Teilweise müssen auch Kinder arbeiten, um die Familie zu unterstützen. Meist handelt es sich bei der Kinderarbeit um landwirtschaftliche Tätigkeiten, Betteln oder Straßenverkauf. Auch Kinderehen finden, gerade in Georgien, noch teilweise statt. Während unseres Bildungsurlaubs in Georgien haben wir in einem Gespräch mit Einheimischen zudem erfahren, dass Menschen in kinderlosen Ehen nicht nur Kinder adoptieren, sondern auch „kaufen“ können. Ärmere Familien in Georgien zeugen somit teilweise Kinder zum Verkaufen an reichere Familien mit Kinderwunsch.

Religion

Georgien ist das zweitälteste christliche Land. Das Christentum hat als Staatsreligion einen hohen Einfluss. Etwa 84 Prozent der georgischen Bevölkerung gehören zur Georgischen Orthodoxen Apostelkirche. Die Kirche gilt als wichtigste Institution, so segnet beispielsweise auch der Patriarch vor jeder Legislaturperiode das Parlament. In Georgien herrscht offiziell Religionsfreiheit – es zeigt sich jedoch, dass es oft kein Verständnis für andere christliche Religionen neben der georgischen orthodoxen Kirche gibt und es immer wieder zu religiös motivierten Ausschreitungen gegenüber Minderheiten kommt.

Während unseres Bildungsurlaubs in Georgien haben wir mit einem Bischof einer evangelisch-lutherischen Kirche gesprochen, der uns von den Herausforderungen vor Ort berichtet hat. Er hat uns von dem sozialen Druck auf die christlichen Armenier*innen, die nicht der georgischen orthodoxen Kirche angehören, erzählt. So trauen sich viele Menschen an Weihnachten nicht in die Kirche, da sie sich dafür extra freinehmen müssten – und die Arbeitgebenden so sofort wüssten, dass sie evangelisch-lutherisch sind.

Schulsystem

In Georgien gibt es keine Aufteilung der Schulen, sondern nur eine Schulform. Es ist somit nicht wie beispielsweise in Deutschland, dass in Gesamt-, Haupt-, Realschule und Gymnasium unterschieden wird. Stattdessen gibt es jedoch öffentliche und private Schulen. Bis 2008 galt in Georgien ein fünfstufiges Notensystem, das noch aus der Sowjetunion stammte. Seit 2008 gibt es ein Notensystem von 1-10, bei dem 10 die beste Note ist. Schüler*innen brauchen mindestens eine 5, um zu bestehen.

In Georgien wird auf Georgisch unterrichtet, die Sprache zählt übrigens zum Weltkulturerbe. Russisch wird heutzutage nur noch selten als Fremdsprache gelernt. Für georgische Schüler*innen ist meist Englisch die erste Fremdsprache. Die Alphabetisierungsrate (der Grad der Lese- oder Schreib- bzw. Schriftkompetenz einer Bevölkerung) ist in Georgien enorm hoch und liegt bei fast 100 Prozent.

Queere Rechte

CN: Queerfeindlichkeit

In Georgien wurde Homosexualität 2000 entkriminalisiert, wird aber in Teilen der Gesellschaft weiterhin tabuisiert. Seit 2014 gibt es jedoch ein Gesetz, das Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in allen Bereichen verbietet. Auch Straftaten, die aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität begangen werden, werden mit einem höheren Strafmaß verfolgt.

Wie sieht es mit Rechten für LGBTQ+ Menschen in Georgien aus und wo findet sich noch Queerfeindlichkeit?

Die orthodoxe Kirche hat in Georgien immer noch einen sehr hohen Einfluss. Als wir beispielsweise genau am IDAHOBIT 2018 in Georgien waren, sollte es eine kleine LGBTQ+ Kundgebung geben. Doch die Kirche hat den Tag spontan zum Familientag aufgerufen und ein großes Kirchenfest veranstaltet. Die Kundgebung musste abgesagt werden.

Viele LGBTQ+ Menschen sind täglich Gewalt ausgesetzt und leben daher, besonders in der Hauptstadt Tiflis in Communitys zusammen. In Georgien muss sich noch einiges ändern – mit dem Antidiskriminierungsgesetz hat Georgien jedoch schon einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Rechte behinderter Menschen

Behinderte Menschen werden immer noch ungleich behandelt und diskriminiert – und das überall auf der Welt. Diese Behindertenfeindlichkeit wird Ableismus genannt. Hier erfährst du mehr über die Situation behinderter Menschen in Georgien.

Pressefreiheit

Die georgische Verfassung garantiert Pressefreiheit und verbietet zudem Zensur. In der Praxis ist Pressefreiheit jedoch noch nicht immer auch Realität. In Georgiens Medienlandschaft gibt es fast nur staatliche Sender. Das Fernsehen hat dort eine vorherrschende Stellung, während es Printmedien in jüngster Zeit teilweise kaum möglich ist, zu überleben. Viele Medienhäuser gehören privaten Eigentümer*innen – welche über die politische Ausrichtung der Inhalte und der Berichterstattung bestimmen.

Vergleich zwischen Armenien und Georgien

Abschließend wollen wir Georgien noch einmal genauer unter die Lupe nehmen und mit seinem Nachbarland Armenien vergleichen. Dafür haben wir uns zwei Fragen gestellt: Welches sind die größten Unterschiede zwischen Armenien und Georgien und worin ähneln sich die beiden Nachbarsländer?

Armenien und Georgien sind die ältesten christlichen Länder der Welt und in beiden ist der starke Einfluss der Kirche auf die Gesellschaft heute noch deutlich zu spüren. Trotz Religionsfreiheit werden in Armenien und Georgien andere Religionen neben der armenisch-apostolischen bzw. georgisch-orthodoxen Kirche kaum toleriert.

Auch sind beide Länder durch den Zusammenbruch der Sowjetunion geprägt, allerdings auf ganz unterschiedliche Weise: In Armenien ist die Industrie nach der Unabhängigkeit größtenteils weggebrochen, viele Fabriken stehen leer und ein Großteil der Bevölkerung lebt in Armut. In Georgien hat eine andere Entwicklung stattgefunden und das Land hat sich durch verschiedenste Einflüsse mehr dem Westen angenähert. Dadurch ist mehr Geld ins Land gekommen und die Wirtschaftsbeziehungen konnten verbessert wurden.

Eine Schwierigkeit, die ebenfalls beide Länder betrifft, sind die territorialen Konflikte. In Armenien ist es die Region Bergkarabach, um die gegen Aserbaidschan gekämpft wird und die viele Menschenleben sowie hohe Staatsausgaben fordert. In Georgien sind es die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien und der Krieg mit Russland, unter dem die Bevölkerung sowie insbesondere auch die Landwirtschaft leiden

▶️ Fallen dir noch weitere Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Armenien und Georgien ein?


Was gefällt dir besonders an Georgien? Bist du vielleicht in den letzten Jahren nach Georgien gereist und sind dir viele Veränderungen aufgefallen? Warum würdest du gerne einmal hin?

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