Armenien

Am 11. Mai 2018 startete unser Bildungsurlaub in Armenien mit einem Flug nach Jerewan! Dieser Bildungsurlaub war besonders spannend, da wir gleich zwei Länder auf einmal bereist haben. Nach vier interessanten Tagen in Armenien, reisten wir nämlich direkt weiter in das Nachbarland Georgien und haben auch dort noch einmal vier Tage lang das Land erkundet. Alle Reiseberichte über Georgien findest du hier.

In Armenien haben wir Denkmäler und Gedenkstätten besucht, uns alte Ruinen angeschaut, verschiedene Kirchen, Kloster und Tempel besichtigt, Ausstellungen besucht, mit einem Politiker und einem Journalisten gesprochen, Messen und Märkte erkundet, in einer Kunstschule und in einer traditionellen Brotbäckerei Mittag gegessen, soziale Projekte besichtigt, der Heinrich-Böll-Stiftung und der Deutschen Botschaft einen Besuch abgestattet, mit einem Priester gesprochen, Kunsthandwerker*innen kennengelernt und natürlich die verschiedensten Städte, Gebirge und Seen erkundet!

Inhaltsverzeichnis

Politik

Was weißt du über die politischen Verhältnisse in Armenien?

Armenien ist eine Republik, die seit 1991 unabhängig ist. 2015 hat das Land seine Verfassung geändert und ist damit von einer semi-präsidentiellen zu einer parlamentarischen Republik übergegangen. Das armenische Parlament, die Nationalversammlung, ist ein Einkammerparlament und besteht aktuell aus 107 Abgeordneten. Die Parteien werden für fünf Jahre gewählt und müssen mindestens fünf Prozent erreichen, um ins Parlament einzuziehen. Die Verfassungsreform sorgte 2015 für eine Machtverschiebung vom Präsidenten auf den Regierungschef. Nach neuer Regelung durfte der amtierende Regierungschef Sersch Sargsjan nicht ein weiteres Mal kandidieren und wurde daraufhin im Frühjahr 2018 durch das Parlament zum Ministerpräsidenten ernannt.

Insbesondere in der Hauptstadt Jerewan kam es daraufhin zu zahlreichen Protesten, bei denen Hunderte Demonstrierende festgenommen wurden, auch der Oppositionsführer Nikol Paschinjan. Sargsjan trat durch den Druck der Protestbewegung am 23. April zurück und Paschinjan wurde am 8. Mai zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Die letzten Parlamentswahlen in Armenien fanden im Juni 2021 statt und wurden zwei Jahre vorgezogen. Grund dafür war unter anderem der verlorene Krieg um Bergkarabach und die Proteste 2020. Bei der Wahl hat die Fraktion der Partei „Zivilkrieg“ die absolute Mehrheit bekommen, damit startete das dritte Regierungskabinett unter Paschinjan.

Geschichte

Der Genozid an den Armenier*innen

1. Der Völkermord an den Armenier*innen wurde systematisch vorbereitet und durchgeführt – er gilt als einer der ersten systematischen Genozide des 20. Jahrhunderts. Knapp zusammengefasst gab es ab 1914 Boykottmaßnahmen, Ermordungen wichtiger armenischer Repräsentant*innen und Plünderungsmaßnahmen. Anfang 1915 wurden armenische Soldaten entwaffnet, Armenier*innen in Kriegsgefangenen-Arbeitsbataillone überführt, deportiert und ermordet.

2. Bis heute ist unklar, wie viele Menschen dem Völkermord zum Opfer fielen. Die Schätzungen für den Hauptzeitraum des Völkermords von 1915 bis 1916 liegen zwischen 800.000 und über 1,5 Millionen. Jedoch wurden bereits während der Verfolgung in den vorangegangen Jahrzehnten ca. 80.000 bis 300.000 Menschen getötet.

3. Bis heute ist der Genozid in der Türkei nicht aufgearbeitet geworden und wird offiziell auch nicht als Genozid anerkannt. Die Leugnung des Völkermords ist immer noch Bestand der Politik der türkischen Regierung. Es wird nicht bestritten, dass es Hunderttausende Opfer gab, jedoch werden die Deportationen als notwendige „kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahmen“ betrachtet.

4. Am letzten Sonntag, den 24.04.2022, fand weltweit der offizielle Gedenktag an die Opfer des Völkermords statt. Für alle Armenier*innen ist die Anerkennung des Genozids ein wichtiger symbolischer Akt. Der Deutsche Bundestag hat 2016 abgestimmt und die Taten damit offiziell als Genozid anerkannt.

5. In Köln setzt sich die Initiative „Völkermord erinnern“ für das erste Mahnmal ein, das im deutschen öffentlichen Raum an den Genozid erinnern soll. Das Ziel ist es, dass das Genozid-Mahnmal dauerhaft an der Hohenzollernbrücke steht. Bisher wurde es nur wenige Tage nach dem Gedenktag von der Stadt Köln abgerissen.

Der 09. Mai

Weißt du, warum der 09. Mai in Armenien ein gesetzlicher Feiertag ist?

In vielen europäischen Ländern ist der 08. Mai ein Gedenktag. Denn an diesem Datum jährt sich ein wichtiges, historisches Ereignis: 1945 hat die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapituliert und damit den Zweiten Weltkrieg beendet. Der 08. Mai gilt daher vielerorts als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. In Deutschland ist der 08. Mai zwar ein Gedenktag, jedoch kein gesetzlicher Feiertag.

In der Sowjetunion war der Befreiungstag ein gesetzlicher Feiertag – allerdings nicht der 08. Mai, sondern der 09. Mai. Dies lag daran, dass die Kapitulation gegenüber der Roten Armee und der Waffenstillstand erst nach Mitternacht geschah, also offiziell am 09.05.1945. Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb der 09. Mai in manchen Ländern ein gesetzlicher Feiertag, so auch in Armenien.

Das Denkmal auf dem Bild ist die Statue von der sogenannten „Mutter Armenien“, die in der armenischen Hauptstadt Jerewan steht und eines der Hauptsymbole der Stadt ist. Die Statue von „Mutter Armenien“ hat 1962 die Statue von Joseph Stalin ersetzt. Seitdem ist das 51 Meter hohe Denkmal eine Art Denkmal zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Am 09. Mai besuchen Tausende Armenier*innen die Statue und gedenken mit Blumen den Opfern des Zweiten Weltkrieges.

Bevölkerung

In vielen Familien in Armenien herrscht noch eine traditionelle Rollenverteilung. Die Frau kümmert sich hier oft um Haushalt und Kinder, während der Mann arbeitet. Durchschnittlich bekommen Familien in Armenien zwischen 1,6 und 1,8 Kinder. In Armenien lebt ein großer Teil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Besonders in ländlichen Gebieten hat das negative Auswirkungen auf die Kinder: Vielen wird der Zugang zu Bildung und zur notwendigen Gesundheitsversorgung erschwert. Manche Schulen, auch vorrangig in ländlichen Gebieten, sind renovierungsbedürftig und können keine geeigneten Lernbedingungen für Schüler*innen bieten. Teilweise müssen auch Kinder arbeiten, um die Familie zu unterstützen. Meist handelt es sich bei der Kinderarbeit um landwirtschaftliche Tätigkeiten, Betteln oder Straßenverkauf.

Religion

In Armenien, dem ältesten christlichen Land der Welt, spielt Religion eine zentrale Rolle: Fast 93 Prozent der Bevölkerung gehören der Armenischen Apostolischen Kirche an. Dadurch ist diese wie eine Art Staatskirche und hat bestimmte Sonderrechte. Die Religionsfreiheit ist in Armenien in der Verfassung garantiert. Die anderen größten religiösen Gruppen sind jedoch nur mit unter ein Prozent vertreten: Anhänger*innen der protestantischen Kirche und des jesidischen Glaubens.

Frauenrechte

CN: Häusliche Gewalt, Suizid, Schwangerschaftsabbruch

In Armenien ist Gewalt gegen Frauen und Kinder ein zentrales Problem, das durch die Corona-Pandemie noch einmal verstärkt wurde. Mit einem neuen Gesetz gegen häusliche Gewalt wurde 2017 bereits versucht, etwas dagegen zu tun – jedoch werden Fälle von häuslicher Gewalt nur selten von der Polizei aufgenommen und es gibt kaum Schutzräume für Betroffene. Dies führt häufig auch zum Suizid der Frau.

Armenien ist zudem das Land, in dem am drittmeisten weibliche Föten abgetrieben werden. In der patriarchischen Gesellschaft ist es insbesondere den Männern wichtig, einen „Stammeshalter“ zu haben. Inzwischen gibt es ein Gesetz, durch das Ärzt*innen das Geschlecht des Fötus nicht mehr verraten dürfen und Schwangerschaftsabbrüche so verhindert werden sollen. Dies hat jedoch zur Folge, dass viele Menschen auch unter unsicheren Bedingungen Zuhause abtreiben, was nicht selten im Tod der Frau endet.

In Armenien setzt sich insbesondere die Heinrich-Böll-Stiftung, die wir während unseres Bildungsurlaubs 2018 besuchten, für mehr Frauenrechte ein. Ein wichtiges Ziel der Stiftung ist es, Frauen mehr Informationen über Verhütung und ihre Rechte mitzugeben und sie zu beraten und aufzuklären. Die Istanbul-Konvention, die Gewalt gegen Frauen verhindern und bekämpfen soll, wurde von Armenien zwar unterzeichnet, jedoch bis heute nicht ratifiziert.

▶️ In den letzten Jahren sind jedoch mehr und mehr Frauenhäuser in Armenien entstanden, auch vergrößert sich die Frauenbewegung und es werden immer mehr feministische Theorien ins Armenische übersetzt.

Rechte queerer Menschen

In Armenien wurde Homosexualität 2003 entkriminalisiert, in der Gesellschaft hat sich dadurch jedoch kaum etwas geändert. Es gibt immer noch viele Vorurteile und eine grundsätzlich negative Einstellung gegenüber LGBTQ+ Personen. Bisher gibt es auch keine Gesetze, die queere Menschen schützen und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität verbieten.

In Armenien hatten wir einen Gesprächstermin mit der Heinrich-Böll-Stiftung, die sich unter anderem für die Akzeptanz von LGBTQ+ Personen einsetzen. Uns wurde berichtet, dass das Heinrich-Böll-Haus sowie ähnliche NGOs von der Bevölkerung stark angegriffen und bedroht werden. Dies ist auch Alltag für viele queere Menschen – und ein Grund dafür, dass viele aus Armenien auswandern.

Rechte behinderter Menschen

Behinderte Menschen werden immer noch ungleich behandelt und diskriminiert – und das überall auf der Welt. Diese Behindertenfeindlichkeit wird Ableismus genannt. Hier erfährst du mehr über die Situation behinderter Menschen in Armenien.

Das armenische Schulsystem

Bis 2008 galt in Armenien ein fünfstufiges Notensystem, das noch aus der Sowjetunion stammte. Seit 2008 gibt es ein Notensystem von 1-10, bei dem 10 die beste Note ist. Schüler*innen brauchen mindestens eine 5, um zu bestehen. Der Unterricht in Armenien findet auf Armenisch statt, eine Sprache, die übrigens Weltkulturerbe ist. Die Schüler*innen lernen hier sowohl das armenische als auch das kyrillische Alphabet. Meist ist Russisch für alle die erste Fremdsprache. Die Alphabetisierungsrate (der Grad der Lese- oder Schreib- bzw. Schriftkompetenz einer Bevölkerung) ist in Armenien enorm hoch und liegt bei 99,7 Prozent.

Pressefreiheit

Armeniens Verfassung garantier Pressefreiheit und verbietet zudem Zensur. In der Praxis ist Pressefreiheit jedoch noch nicht immer auch Realität. In Armenien ist die Medienlandschaft politisch sehr polarisiert. So gibt es beispielsweise viele parteipolitische Journalist*innen. Für eine unabhängige Berichterstattung werden meist Online-Medien genutzt. Neben armenischen Medien werden oft auch europäische oder sogar deutsche Informationsquellen genutzt. Während den Protesten der Samtenen Revolution 2018 wurden zudem zahlreiche Journalist*innen von Polizist*innen angegriffen.

Was müsste sich ändern, damit Pressefreiheit für armenische Journalist*innen stärker gewährleistet wird?

Die Region Bergkarabach

Die Beziehung zwischen Armenien und dessen Nachbarland Aserbaidschan ist durch laufende kriegerische Auseinandersetzungen belastet. Im Mittelpunkt steht der sogenannte Bergkarabachkonflikt. Dieser begann ungefähr nach den ersten Unabhängigkeitserklärungen beider Länder 1918 und brach erneut mit dem beginnenden Ende der Sowjetunion ab 1988 aus. Doch worum geht es eigentlich in diesem Konflikt?

Beim Bergkarabachkonflikt wird um die Region Bergkarabach im Kaukasus gekämpft, die sich Ende der 90er Jahre als unahängig erklärt hat. Die Bevölkerung sieht sich als gebürtige Armenier*innen, die Amtssprache ist Armenisch. Durch die Unterstützung von Armenien konnte sich die Republik damals gegen Aserbaidschan behaupten und Gebiete besetzen. International wird die Republik, die seit 2017 als Republik Arzach bezeichnet wird, jedoch nicht anerkannt, sondern als Teil von Aserbaidschan gezählt.

Im Juli 2020 kam es erneut zu einem Krieg um Bergkarabach, der sich an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze zutrag und im September an der Waffenstillstandslinie eskalierte. Im November endeten die Auseinandersetzungen vorerst mit einem Sieg Aserbaidschans. Mehrere Gebiete rund um Bergkarabach konnten zurückerobert werden. Seit 2021 spricht man vom armenisch-aserbaidschanischen Grenzkonflikt. Es kommt vor Ort immer wieder zu gewaltsamen Streitigkeiten und bewaffneten Auseinandersetzungen. Der Krieg fordert nicht nur regelmäßig Menschenleben, sondern kostet den Staat auch immense Summen an Geld. Die Militärausgaben Armeniens sind der größte Posten im Staatshaushalt. Teilweise demonstrieren auf den Straßen Armeniens tausende Menschen: Es besteht nämlich die Vermutung, dass Präsident Paschinjan die gesamte Region Bergkarabach an Aserbaidschan abtreten will.

Ergänzung: Anfang Mai 2022 wurde verkündet, dass die beiden Länder unter Vermittlung der EU einen Friedensvertrag aushandeln wollen und somit bemüht sind, eine friedliche Lösung für die immer wieder eskalierenden Konflikte zu finden.

Vergleich von Armenien und Georgien

Abschließend wollen wir Armenien noch einmal genauer unter die Lupe nehmen und mit seinem Nachbarland Georgien vergleichen. Dafür haben wir uns zwei Fragen gestellt: Welches sind die größten Unterschiede zwischen Armenien und Georgien und worin ähneln sich die beiden Nachbarsländer?

Armenien und Georgien sind die ältesten christlichen Länder der Welt und in beiden ist der starke Einfluss der Kirche auf die Gesellschaft heute noch deutlich zu spüren. Trotz Religionsfreiheit werden in Armenien und Georgien andere Religionen neben der armenisch-apostolischen bzw. georgisch-orthodoxen Kirche kaum toleriert.

Auch sind beide Länder durch den Zusammenbruch der Sowjetunion geprägt, allerdings auf ganz unterschiedliche Weise: In Armenien ist die Industrie nach der Unabhängigkeit größtenteils weggebrochen, viele Fabriken stehen leer und ein Großteil der Bevölkerung lebt in Armut. In Georgien hat eine andere Entwicklung stattgefunden und das Land hat sich durch verschiedenste Einflüsse mehr dem Westen angenähert. Dadurch ist mehr Geld ins Land gekommen und die Wirtschaftsbeziehungen konnten verbessert wurden.

Eine Schwierigkeit, die ebenfalls beide Länder betrifft, sind die territorialen Konflikte. In Armenien ist es die Region Bergkarabach, um die gegen Aserbaidschan gekämpft wird und die viele Menschenleben sowie hohe Staatsausgaben fordert. In Georgien sind es die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien und der Krieg mit Russland, unter dem die Bevölkerung sowie insbesondere auch die Landwirtschaft leiden.

▶️ Fallen dir noch weitere Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Armenien und Georgien ein?


Würdest du gerne einmal nach Armenien reisen? Oder warst du sogar schon einmal dort und hast Lieblingsorte, die du mit uns teilen möchtest?

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